Erstveröffentlichung bei Indymedia linksunten, 6. Januar 2012. Jedes Jahr attackieren militante Nazis in Russland Menschen. Jedes Jahr sterben Migrant_innen, Antifaschist_innen, vermeintliche nicht-slawische Menschen, Menschenrechtler_innen und emanzipatorische Aktivist_innen. Im Zuge der Proteste gegen die Fälschungen der föderalen und regionalen Dumawahlen werden zunehmend auch Nationalist_innen und offene National-Sozialist_innen in den Organisationsstrukturen akzeptiert. Antikaukasische Ressentiments sind weit verbreitet und dienen immer wieder zur Mobilisierung der Massen.
Der Nationalist Aleksej Navalny, maßgeblicher Initiator der anti-kaukasischen Kampagne „Kvatit kormit Kavkaz“ (Stoppt die Fütterung des Kaukasus), prominenter Redner beim „Russischen Marsch“ im letzten Jahr und bekannt geworden als Antikorruptions-Blogger, konnte zur Ikone des Protestes gegen Putin und das Günstlings-System des Kreml werden. Immer wieder sieht mensch auf den Protestveranstaltungen gegen die Wahlfälschungen die schwarz-gelb-weiße imperiale Flagge und hört die bekannten nationalistischen Slogans. Auf der anderen Seite nimmt die antifaschistische und emanzipatorische Intervention sowie die Diskussion über eine grundlegende Transformation der russischen Gesellschaft zu.
In diesen Zeiten der verstärkten Akzeptanz nationalistischer Ausgrenzung aber auch der Öffnung zu emanzipatorischen Diskursen ruft das Komitee 19. Januar zum dritten mal zu einer antifaschistischen Demonstration in Erinnerung an die Ermordung des Menschenrechtsanwalts Stanislav Markelov und die antifaschistische Journalistin Anastasija Baburova auf.
Hintergrund der Proteste ist die Ermordung des Menschenrechtsanwalts Stanislav Markelov und der Journalistin Anastasija Baburova. Beide wurden am 19. Januar 2009 von Nikita Tichonov, einem militanten Nationalisten und Mitglied eine Nazi-Terror Zelle, in Moskau auf offener Straße erschossen. Markelov war ein engagierter Anwalt für Opfer und Angehörige staatlicher sowie fremdenfeindlicher Gewalt. Besonders bekannt war im Südkaukasus, weil er hartnäckig und erfolgreich die Rechte chechenischer Opfer vertrat. Baburova schrieb für die linksliberale Zeitung „Novaja Gazeta“ und war eine aktive Antifaschistin. Des Weiteren engagierte sie sich in anarchokommunistischen und ökologischen Initiativen.
Markelov und Baburova waren nicht die ersten Opfer von Nazis. Vor ihnen und danach starben zahlreiche Menschen, die entweder die vermeintlich falsche Hautfarbe hatten oder die nationalistische Zwangsrekrutierung in ein nationales Kollektiv ablehnten. So starben im August 2006 bei einem Anschlag von Nazi-Terrorist_innen auf den Moskauer Cherkizovskij Markt 14 Menschen. Am 13. November 2005 wurde Timur Kacharev von Nazis ermordet. Im Oktober 2008 töteten Nazis Fedor Filatov, einen engagierten Antifaschisten und Mitbegründer der Moskauer Trojan Skinheads. Im November 2009 wurde Ivan Khutorskij ermordet. Und jedes Jahr werden zahlreiche Migrant_innen ermordet, deren Namen zumeist unbekannt bleiben.
Wie auch in den letzten Jahren ruft ein breites Bündnis aus zivilgesellschaftlich engagierten Menschen, Menschenrechtler_innen, Antifaschist_innen und Künstler_innen dazu auf am 19. Januar 2012, dem Todestag von Markelov und Baburova, gegen Nazi-Terror, Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Nationalismus auf die Straßen gehen. In diesem Jahr betonen die Organisator_innen vom Komitee 19. Januar, vor allem angesichts der zunehmenden Akzeptanz nationalistischer Diskurse bei den Protestes gegen die Wahlfälschungen, dass der Kampf für eine echte Demokratie und für Meinungsfreiheit untrennbar mit Antifaschismus verknüpft ist. „Baburova und Markelov“, so das Komitee 19. Januar in ihrem Aufruf, „bewiesen dies mit ihrem Leben und ihrem Tod“. [1]
In diesem Jahr finden in Erinnerung an die Ermordung von Markelov und Baburova in Berlin und Potsdam Veranstaltungen statt. So wird der Film „Ljubite menja, pozhaluista“ (Liebt mich, bitte) über das Leben, das Engagement und die Ermordung von Anastasija Baburova gezeigt. Außerdem findet am Todestag beiden eine Info- und Diskussionsveranstaltung zu nationalistischen Strukturen in Russland statt. [2] Am Nachmittag des 19. Januar, um 14 Uhr ruft außerdem die Gruppe 19. Januar Berlin zu einer einer Gedenk- und Solidaritätskundgebung vor der Russischen Botschaft auf. Die Organisator_innen betonen, dass sie „ein solidarisches Zeichen gegen Nationalismus, Nazi-Terror und Kriminalisierung russischer Antifaschist_innen setzen“ wollen. [3]
Die aktuelle Situation in Russland ist und bleibt für emanzipatorische Aktivist_innen lebensgefährlich. Die Proteste gegen die Wahlfälschungen sind trotz der nationalistischen Aufladung ein wichtiges Signal an das herrschende Establishment und die regierende Kaste. Freiheit und Emanzipation ist nicht nur denkbar, sondern auch machbar geworden. Die Genoss_innen in Russland brauchen unsere Unterstützung. Jetzt!
[1] Aufruf auf russisch siehe hier , auf deutsch siehe hier
[2] zur Veranstaltungsreihe „Erinnern“ siehe hier
[3] der Aufruf der Gruppe 19. Januar Berlin zur Kundgebung in Berlin siehe hier