Naziterroristen morden in Moskau

Machnow, analyse kritik aktion, 27. November 2009. Am 19. Januar diesen Jahres wurden der engagierte, antifaschistische Anwalt und libertäre Aktivist Stanislav Markelov sowie die Journalistin und anarchistische Aktivistin Anastasia Baburova auf offener Straße erschossen. Anfang November wurden in diesem Zusammenhang die Eheleute Nikita Tichonov und Evgenija Chasis als Mörder festgenommen. Beide werden einer rechtterroristischen Zelle zugerechnet, die in weitere Morde verwickelt sein soll. Die Hinrichtung von Ivan Chutorskoi am 16. November scheint ebenfalls von Naziterroristen verübt worden zu sein.

Die Festnahme von Tichonov und Chasis wurden von kritischen Medien und antifaschistischer Seite sehr vorsichtig begleitet. Der Zeitpunkt und die Umstände der Festnahme sowie die mangelhafte Transparenz der Sicherheitsorgane warf mehr Fragen auf, als daß der Mord und seine Hintergründe erhellt werden konnte. Eines scheint aber sicher, Markelov und Baburova wurden nicht von Chechenen (Paramilitärs des Präsidenten Kadyrow), Armeeangehörigen (Oberst Budanov), verärgerten Sicherheitskräften oder anderen Verdächtigen, die Markelov durch seine anwaltliche Arbeit offen attackiert hat, ermordet. Es waren (un-) organisierte Nazis!

Erschreckender ist allerdings nicht nur, daß die verhafteten Mörder aus dem Untergrund Überfälle und Morde organisierten, sondern daß sie durchaus offenen Kontakt zu staatsloyalen Politiker_innen hatten und, neben ihren terroristischen Aktivitäten, intellektuelle Pionierarbeit für eine militante Nazibewegung leisteten. Die Eheleute Tichonov / Chasis lassen sich nahtlos in ein Netzwerk aus Naziskins, radikalnationalistischen Veröffentlichungsorganen, paramilitärischen Organisationen und freien Gruppen einordnen. Außerdem soll Tichonov immer sehr gute Kontakte in den Kreml und zu hohen Offiziellen der regierenden Partei Edinaja Rossija (Einiges Russland) gehabt zu haben.

Schon circa eine Woche vor den Festnahmen hatte Michail Markelov, der Bruder des ermordeten Anwalts und selbst Mitglied der nationalistischen Organisation Spravedlivaja Rossija, öffentlichkeitswirksam verkündet, daß er wüßte, wer seinen Bruder ermordet hätte. Er setzte die Ermittlungsbehörden somit bewusst unter Druck (oder arbeitete ihnen bewusst zu). Durch seine „Enthüllung“ setzte er die Täter und ihr Umfeld massiv unter Druck. Die Sicherheitsbehörden, auf der anderen Seite, bekamen die Möglichkeit ihre Pressearbeit vorzubereiten und offensiv Gerüchte zu streuen.

Einen Tag vor den Russischen Märschen in ganz Russland sickerte durch, daß die Beschuldigten ehemalige Mitglieder der Organisation Russkoe Nazional’noe Edinstvo (Russische Nationale Einheit) gewesen sein sollen. Ein Flügel der 2000 zerfallenen RNE medete sich sofort und distanzierte sich von den Tätern.

Diese Veröffentlichung von Seiten der Sicherheitsbehörden wurde sowohl von kritischen Medien, sehr viel mehr aber von Antifaschist_innen als völliger Unsinn abgelehnt. Vielmehr wurde darauf verwiesen, daß die Ermittlungsbehörden und insbesondere das neugeschaffene Extremismus Zentrum (E-Zentrum) immer wieder auf die RNE als militante Naziorganisation zurückgreift. Obwohl die in den 90igern größte Naziorganisation schon seit Jahren nicht mehr offen in Erscheinung trat, bleibt sie für die Behörden als Stereotyp für militante und tödliche Übergriffe erhalten. Diese Ermittlungskonstruktion verschleiert andere Nazistrukturen und lenkte von den freien Naziskinsgruppen und anderen paramilitärischen Organisationen ab.

Wenn mensch das Netzwerk, in welches die verhafteten Tichonov und Chasis eingeordnet werden können, betrachtet, zeigt sich, daß es sehr viel heterogener ist, als es die Behörden glaubhaft machen wollen. Tichonov gilt nicht nur als Schläger und nationaler Aktivist, sondern vor allem als rechter Intelektueller. Er soll Mitbegründer der militanten Gruppe Ob’edinennaja Brigada – 88 (Vereinte Brigade – 88) gewesen sein, die zwischen 1997 und 2002 existiert hat. Diese Gruppe wird in Zusammenhang mit zwei Pogromen auf zwei Märkten im Jahr 2001 und 2002 in Zusammenhang gebracht. Danach gründete er mit Ilja Gorjachev die Zeitschrift Russkij Obraz (Die Russische Idee).

Während der Slavianskij Sojuz (Slawische Bund) und die Bewegung gegen illegale Einwanderung (DPNI) vor allem bei xenophoben Alltagsrassisten und Nazihooligans beliebt sind, wurde das Magazin insbesondere in der Nationalsozialistischen Straight Edge / Hardcore Szene rezipiert. Die rassistische Band Kolovrat, die bei der diesjährigen Veranstaltung von Russkij Obraz zum Tag der Nationalen Einheit am 4. November in der Nähe des Kremls nach Jahren erstmals wieder auftrat, spielte hierbei eine große Rolle.

Russkij Obraz steht heute in bestem Kontakt zur regierenden Partei Edinaja Rossija und der kremlnahen Jugendorganisation Rossija Molodaja (Junges Russland). Hierbei ist Maxim Mischenko, Parlamentsabgeordneter für Edinaja Rossija und Vorsitzender von Rossija Molodaja, das Scharnier zwischen freien und autonomen Nazis, sowie den regierungsloyalen Organisationen. Er hält nicht nur Kontakt zu Russkij Obraz, sondern trifft sich auch mit Demushkin, dem Führer der nationalsozialistischen Bewegung Slavianskij Sojuz.

Im Jahr 2006 mußte Tichonov untertauchen. Er wurde verdächtigt an dem Mord an Aleksandr Rjuchin am 16. April beteiligt gewesen zu sein (oder ihn sogar organisiert zu haben). Verhaftet wurden zwei Mitglieder des Slavianskij Sojuz und der Nazi Tesak, der filmende Nazischläger des Studio Format – 18, einer Gruppe die Übergriffe auf Migrant_innen filmte oder derartig Widerliches filmisch inszenierte. Markelov sorgte als Anwalt der Eltern des Ermordeten hartnäckig dafür, daß die Mörder und die Hintermänner zur Verantwortung gezogen werden sollten, was Tichonov in den Untergrund zwang.

Vielleicht spielte Demushkin auf diese Entwicklung an, als er behauptete, daß die Sicherheitskräfte auch für die Ermordung von Iwan Chutorskoi verantwortlich wären. Dies würde allerdings dafür sprechen, daß es dieselbe Zelle ist, die für die Morde an Markelov, Baburova und Chutorskoi verantwortlich ist.

Evgenija Chasis scheint ebenfalls seit ihren Jugend in der militanten Naziszene sozialisiert worden zu sein. Sie soll sich, seit sie 16 Jahre alt war, in diversen Nazigruppen engagiert haben. Sie wird in den Medien als Sportlerin bezeichnet, die Kickboxen in rechten Sportklubs trainierte. Die Verbindung zu Russkij Obraz, aber vor allem mit der Bewegung des Naziboxers Roman Senzov und seiner Gruppe Soprotivlenie (Widerstand), ist auch hier gegeben. Ansonsten ist über Chasis, bis auf boulevardesker, verharmlosender Blödsinn, wenig bekannt.

Die Verhaftung von Tichonov und Chasis kann einerseits als Erfolg der Ermittlungsorgane gewertet werden. Allerdings tun diese wenig, um die Hintergründe adäquat zu untersuchen. Vielmehr verschleiern sie und lenken ab. Die offensichtliche Existenz terroristischer Nazizellen muß als mehr als erschreckend bewertet werden. Der Mord an Chutorskoi beweist, daß eine zweite Moskauer Zelle (oder dieselbe) tödlich einsatzbereit ist. Die Verbindungen des halblegalen Nazinetzwerks der Bewegung Russkij Obraz bis in den Kreml und ins Parlament hinein, potenziert die Relevanz militanter und zunehmend terroristischer Nazigruppen.

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Mit freundlicher Genehmigung der Autor_innen

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