Am Montag den 16. Januar begann die Veranstaltungsreihe „Erinnern“ erfolgreich in Berlin. Hintergrund der Reihe ist die Ermordung der Journalistin und Antifaschistin Anastasija Baburova sowie des Menschenrechtsanwalts Stanislav Markelov am 19. Januar 2009 im Zentrum Moskaus. Zu den Filmvorführungen der Dokumentation „Liebt mich, bitte“ (russ. Ljubite menja, pozhaluista) von Valerij Balajan kamen ins Spartacus (Potsdam) und ins Berliner Kinotheater Moviemento jeweils mindestens 50 Menschen. Die Veranstaltungsreihe wird am folgenden Donnerstag mit der Info- und Diskussionsveranstaltung „Erinnern – heißt kämpfen“ im Büro der Naturfreundejugend Berlin fortgesetzt. Außerdem findet am Nachmittag des 19. Januar um 14 Uhr eine Gedenk- und Solidaritätskundgebung vor der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin statt.
In der Dokumentation „Liebt mich, bitte“ wird die Geschichte von Anastasija Baburova erzählt. Der Regisseur Valerij Balajan läßt die Eltern, enge Freunde, Aktivist_innen und Journalist_innen zu Wort kommen. Sie beschreiben Nastja als ganz besonderen Menschen. Sie verabscheute jegliche Ausgrenzung. Nationalismus und Nazis bekämpfte sie durch ihr Wort, indem sie über xenophobe Übergriffe und Prozesse gegen Nationalist_innen schrieb. Außerdem engagierte sie sich in antifaschistischen Zusammenhängen.
Auf der anderen Seite nutzt Balajan Bilder und Videosequenzen von Nazi-Internetseiten. Ihre Superioritätssehnsüchte, ihr Haß und die explizite Gewalt gegen Migrant_innen ist schwer erträglich. Die Zuschauer_innen sehen die widerwärtigen Bilder einer sich als überlegen konstruierenden „weißen“ Elite, die allerdings selbst kaum richtig russisch sprechen kann. Besonders skurril ist eine russische Version der Landser-Glorifizierung des SS-Opas, die von der russischen Nazi-Band Kolovrat (russ. Hakenkreuz) übersetzt und vertont wurde. Nicht minder erstaunlich ist, daß russische Nationalist_innen sich selbst als Teil einer rassistischen „arischen“ Internationale begreifen.
Die Dokumentation ist ein sehr emotionaler Film. Balajan wollte Nastja ein filmisches Denkmal setzen, wie er gestern im Gespräch nach der Vorführung erläuterte. Er selbst hatte sich zuvor nie mit Nazi-Strukturen, Antifaschismus oder Nationalismus beschäftigt. Als er dann die menschenverachtende, zum Mord aufrufende Nazi-Propaganda im Netz sah, wollte er sie ungefiltert und in ihrer Abscheulichkeit vor allem dokumentieren und aber auch dem emanzipatorischen Engagement von Nastja und Stas entgegensetzen. Heute, so erklärte er gestern, würde er diese Sequenzen nur eingeschränkt nutzen.
Der Film, so Balajan im Moviemento, sollte aber vor allem erschüttern. Er sollte zeigen, daß es Nazis und ihren tödlichen Haß in Russland bis heute gibt. Außerdem betont er, daß militante nationalistische Organisationen sich vor allem in den letzten 10 Jahren – also seit Putin die Macht übernahm – ungestört formieren konnten. Des Weiteren erklärte er, daß sämtliche Führer_innen nationalistischer Organisationen schon zu Zeiten der Sowjetunion Mitglieder der Sicherheitsorgane waren. In diesem Zusammenhang ist die Erklärung des Vaters von Nastja im Film besonders erschreckend. Er berichtet, daß schon ihre Großeltern in Stalingrad und Leningrad gekämpft hätten und von Faschist_innen getötet wurden. Und nun ermordeten, Jahrzehnte später, wieder Faschist_innen die Enkelin Nastja Baburova.
Nazis gibt es weiterhin. Nationalist_innen drängen in die Protestbewegung gegen die Fälschungen bei den regionalen und föderalen Duma-Wahlen. Antifaschist_innen werden durch die staatlichen Sicherheitsorgane massiv behindert und als „Extremist_innen“ kriminalisiert. Umso wichtiger ist Solidarität. Stas Markelov hat dies in seiner letzten Reden bei einer Soli-Aktion für Beketov treffend zusammengefaßt:
Uns hilft kein Gott, kein Zar, kein Gesetz! Niemand! Nur wir selbst können uns schützen. Erst dann, wenn wir uns voreinander stellen, wenn wir uns gegenseitig beschützen können – erst dann können wir uns durchsetzen.
Kein Vergeben! Kein Vergessen!