Erstveröffentlichung auf Indymedia, 22. Dezember 2011. In Russland spitzt sich die Situation immer weiter zu. Gestern fand ein Flashmob unter dem Motto „Meine Stimme wurde gestohlen“ in der Moskauer U-Bahn statt. Für den 24.12. mobilisieren verschiedene Bündnisse landesweit zu Massendemonstrationen und Kundgebungen. Außerdem wurden die ersten Gefangenen, so wie der nationalistische Blogger Aleksej Navalny und sein Kompagnon von der vermeintlich liberalen Oppositionspartei Solidarnost’ Ilja Jashin, nach 15 Tagen Arrest freigelassen. Andere, wie zum Beispiel der Petersburger Mitarbeiter des Menschrechtsorganisation Memorial Filipp Kostenko oder Sergej Udal’zov vom Bündnis Levyj Front (Linke Front), verblieben unter obskuren Begründungen auch nach Ablauf des Arrests weiter in Haft.
Der Mobilisierung zum landesweiten Protest schadet die Repression aber nicht. Vielmehr versuchen sämtliche parlamentarische und außerparlamentarische vermeintlich oppositionellen Organisationen die keimende Bewegung zu nutzen, um ihre Inhalte zu verbreiten. Zu Beginn der Woche kündigte zum Beispiel Dmitrij Djomushkin an, dass er und seine „ethno-politische Bewegung Russkie“ (Russ_innen) die „rechte Flanke“ des Protestes übernehmen müsse und die russisch-imperialen Interessen am 24.12. vertreten werden. Mehrere Tausend Nationalist_innen, so die Nazi-Großfresse, will er mobilisieren, um dem „liberalen“ Protest den nationalistischen entgegensetzen zu können. Mit dieser Äußerung versucht der Nazi und selbsternannte Führer des verbotenen Slavjanskij Sojuz bewusst zu spalten und Ausseinandersetzungen zu provozieren.
Doch die Äußerung militanter Nazis sich am Protest am Samstag zu beteiligen, verweist auch darauf, dass nationalistische Diskurse und die Anwesenheit nationalistischer Gruppen bei den Protesten zumindest geduldet werden. So formierte sich schon bei der Großkundgebung am 10. Dezember in Moskau weitestgehend ungestört ein recht großer Block, der ausgestattet mit russisch-imperialen Flaggen mit nationalistischen Parolen auf sich aufmerksam machte. Lediglich Antifaschist_innen und Anarchist_innen intervenierten gegen diese Vereinnahmung des Protestes. Aus der Erfahrung der ersten Massenkundgebungen und den Ankündigungen nationalistischer Organisationen veröffentlichte deshalb das Komitee 19. Januar einen Offenen Brief an die Organisator_innen der Kundgebung(en), der zur Distanzierung von nationalistischen Gruppen und Nazis aufruft.
Ebenfalls erwähnenswert ist, dass sich gestern das (nicht-) gewählte föderale Parlament konstituierte. Besondere Vorkommnisse oder Proteste im Plenarsaal gab es nicht. Auch wenn die Kommunistische Partei der Russischen Föderation versucht den Protest auf der Straße zu schüren und sich dort an die Spitze zu setzen, bleiben ihre Aktivitäten in der Duma selbst zurückhaltend. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da im föderalen Parlament ausschließlich staatsloyale Parteien und Abgeordnete sitzen. Unter ihnen ist mit dem ehemaligen Schwergewichtsboxer Nikolaj Valuev auch ein ganz besonders beeindruckender Politiker, der mehr Probleme mit seinem Parlamentssitz, als mit dem Einzug ins Parlament hatte.