Ute Weinmann, Jungle World Nr. 14, 7. April 2011. In Moskau steht ein Nazi-Paar wegen der Morde an einem Anwalt und einer Journalistin vor Gericht. Dank der Kenntnisse der Angeklagten könnten sich weitere Morde aufklären lassen. Doch die beiden sind bislang nicht sonderlich gesprächig.
Vielleicht ist der sportlich gekleidete Mann in dem Glaskasten ein Mörder, die junge Frau daneben seine Komplizin. Sie turteln, als säßen sie ungestört auf einer Parkbank im Grünen. Doch die Szene spielt sich in einem Saal des Moskauer Stadtgerichts ab. Dort läuft seit Mitte Februar der Prozess wegen Mordes an dem Anwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasia Baburowa. Im Januar 2009 wurden beide am hellichten Tag im Moskauer Stadtzentrum erschossen.
Freunde der Ermordeten hegten von Anfang an den Verdacht, dass es sich bei den Tätern um Nazis handeln könnte. Denn Markelow und Baburowa machten aus ihrer antifaschistischen Überzeugung kein Geheimnis. Der Anwalt war in der militanten rechtsextremen Szene so verhasst, dass er als Figur in einem Computerspiel als Zielscheibe auf der obersten Schwierigkeitsstufe herhalten musste. Wahrscheinlich wurde auf die Spielfigur unzählige Male straflos geschossen. Nun besteht die Möglichkeit, Markelows tatsächliche Mörder zu verurteilen.
Zeugen sagten mittlerweile aus, sie hätten die Angeklagten Nikita Tichonow und Jewgenija Chasis am Tatort beobachtet. Die Tatwaffe wurde bei der Festnahme der beiden Verdächtigen Anfang November 2009 sichergestellt. Tichonow, der seinen Lebensunterhalt mit illegalem Waffenhandel bestritt und sich dafür ebenfalls vor Gericht verantworten muss, behauptet, ein Bekannter habe ihm die Pistole der Marke Browning zur Reparatur gegeben. Den Mord streitet der 30jährige vehement ab. Sein Freund Ilja Gorjatschew, Anführer der rechtsextremen Organisation »Russische Gestalt«, plauderte jedoch während der Ermittlungen aus, Tichonow habe ihm höchstpersönlich berichtet, die Tat verübt zu haben. Da diese Aussage noch vor Prozessbeginn an die Öffentlichkeit gelangt war und Gorjatschew mit Racheakten rechnete, setzte er sich ins Ausland ab.
Das angeklagte Paar kann eine einschlägige Biographie vorweisen, die keine Zweifel an ihrer Zugehörigkeit zur militanten Naziszene lässt. Tichonow besitzt sogar ein persönliches Motiv für den Mord. Auf Markelows Anstrengungen ist es zurückzuführen, dass gegen ihn im Fall des Mordes an dem Antifaschisten Alexander Rjuchin im Jahr 2006 ermittelt wurde. Zwar gelang es dem Nazi, sich der Strafverfolgung zu entziehen, doch wegen des bestehenden Haftbefehls konnte er sich seither nicht mehr frei bewegen.
Die Anklage vermag aber noch weitere Beweisstücke beizubringen. Dazu gehören umfangreiche Dateien, die auf einem Notebook und einem USB-Stick von Chasis sichergestellt wurden. Der Staatsanwalt verwies unter anderem auf Aufrufe, Anwälte zu töten, und ausführliche persönliche Angaben über Personen, von denen eine erschossen wurde. Auf einem vorgefundenen Foto ist auch Markelow zu sehen.
Außerdem wurden Bekennerschreiben der für verschiedene Morde verantwortlichen »Kampforganisation russischer Nationalisten« gefunden, von der bei der Zeitung Novaya Gazeta, für die Baburowa schrieb, nach dem Mord ein solches Schreiben per Mail einging. Daneben sammelten die Angeklagten zahlreiche Gebrauchsanweisungen für Waffen, Bauanleitungen für Sprengsätze und Ratschläge, wie man der Verfolgung durch den Staatsschutz entgeht, also nützliches Wissen für Untergrundkämpfer. Tichonow erklärte die Sammlung solcher Informationen mit der Absicht, einen politischen Detektivroman verfassen zu wollen.
Nicht weniger aufschlussreich ist eine Audioaufnahme, die mittels eines Abhörgeräts entstand, das in der von den beiden angemieteten Wohnung installiert war und die Gespräche des Paars während der Tage vor ihrer Festnahme aufzeichnete. Ein Schuldbekenntnis ist dem Mitschnitt zwar nicht zu entnehmen, aber er reichte aus, den Geschworenen die wachsende Nervosität der Angeklagten zu veranschaulichen. Bei diesen hatte die Veröffentlichung eines Interviews mit Markelows Bruder für große Aufregung gesorgt, in dem er angab, dass ihm die Verantwortlichen für den Mord bekannt seien.
Während der laufenden Anhörungen wirken die Angeklagten in ihrem Glaskasten bisweilen sogar recht vergnügt. Dazu trägt sicherlich das teils dreiste Verhalten ihrer Anwälte bei. Diese nutzen jede Gelegenheit, um das Verfahren zu torpedieren und den Geschworenen Informationen zuzutragen, die nicht für deren Ohren bestimmt sind. Mit genervter Stimme weist Richter Alexander Zamaschnjuk die Verteidiger dann auf die Gerichtsordnung hin oder schickt gegebenenfalls das Geschworenenkollegium aus dem Saal. Der Richter könnte strenger für Ordnung sorgen, doch er hat keine leichte Aufgabe, zumal seine Anschrift mittlerweile auf Naziseiten im Internet veröffentlicht wurde.
Es fällt auf, dass Tichonow während der Befragung im Gerichtssaal häufig die Unterstützung seiner Lebensgefährtin in Anspruch nimmt. Chasis ist der Beihilfe zum Mord angeklagt, weigert sich bislang jedoch, Fragen zu beantworten. Sie begnügt sich meist mit der Rolle als Souffleuse, wenn sich ihr Partner wieder einmal in Widersprüche verstrickt. Vor der Verhandlung war Chasis wesentlich gesprächiger. So gab sie in der Untersuchungshaft etliche Details über den Naziuntergrund preis. Über einen Anführer der russischen Sektion von »Blood and Honour«, der den Spitznamen »Oper« trägt, berichtete sie, dass er sich womöglich derzeit in der Ukraine, Polen oder in Deutschland aufhalte.
Diese von Chasis weitergegebenen Informationen dürften zur Festnahme mehrerer Nazis in der vergangenen Zeit ebenso beigetragen haben wie zu den entscheidenden Fortschritten, die in den Ermittlungen im Mord an dem Moskauer Richter Eduard Tschuwaschow zu verzeichnen sind. Der seit Ende März zur Fahndung ausgeschriebene Aleksej Korschunow steht unter Verdacht, den wegen seiner strengen Urteile über Gewalttäter aus dem Nazispektrum bekannten Richter im April 2010 erschossen zu haben. Und es gibt Hinweise darauf, dass Korschunow gemeinsam mit Tichonow und Chasis die Ermordung von Markelow und Baburowa zu verantworten hat. Sollte Chasis noch mehr Details verraten, könnten unter Umständen weitere Morde aufgeklärt werden.
Mit freundlicher Genehmigung der Jungle World