Solidarität mit Antifas in Nizhni Novgorod

Die örtliche Abteilung des Zentrum gegen „Extremismus“ aus Nizhni Novgorod, das Regionalbüro des sogenannten „E“-Zentrum, hat seine abenteuerlichen Ermittlungen gegen fünf Antifaschist_innen in den vergangenen Tagen an die Staatsanwaltschaft übergeben. Hintergrund des Verfahrens ist die Beteiligung an vermeintlichen Übergriffen auf den stadtbekannten Nazi Dmitrij Red’kin sowie zwei weitere vermeintliche Opfer im Sommer und Herbst 2010. Außerdem sollen die fünf Mitglieder der nur in den Köpfen der Sicherheitspolizei existierenden, selbstverständlich „extremistischen“ Organisation „Antifa-Rash“ in Nizhni Novgorod sein.

Die Antifaschist_innen Artjom Bystrov, Pavel Krivonosov, Oleg Gembaruka, Al’bert Gajnutdinov und Dmitrij Kolesova sind, wie die Novaja Gazeta schreibt [1], mit einem ganzen „Strauß“ verschiedener Beschuldigungen konfrontiert. Sie sollen Mitglieder einer „extremistischen“ Organisation sein. Außerdem wird ihnen Widerstand gegen Sicherheitskräfte vorgeworfen. Des Weiteren werden sie beschuldigt Körperverletzungen aus politischen Motiven (Haßverbrechen) gemeinschaftliche begangen zu haben. Im Zentrum der Vorwürfe ist und bleibt aber die vermeintliche Mitgliedschaft in der nicht-existenten Organisation „Antifa-Rash“.

Dmitrij Dinze, der Anwalt der Antifaschist_innen, nannte die Konstruktionen des „E“-Zentrum eine mythische Legende. Eine „extremistische“ Organisation „Antifa-Rash“ existiert nicht und die entsprechenden Materialien gegen seine Mandant_innen wurden von den Sicherheitsbehörden selbst verfaßt. In diesem Zusammenhang ist eine Enthüllung von Dinze ganz besonders interessant. So behauptet er bei twitter, daß Aleksej Tifonov, der Chef des örtlichen „E“-Zentrum in Nizhni Novgorod und Verantwortlicher für die Durchführung der Ermittlungen gegen die Antifaschist_innen, unter dem Nick Natasha Rostov ein Account beim in Russland äußerst beliebten Social-Network-Portal vkontakte (vergleichbar mit Facebook) angemeldet hat und Antifa-Strukturen ausspioniert.

Die Hintergründe der Ermittlungen sind ebenfalls mehr als abenteuerlich. So soll Artjom Bystrov im Herbst 2010 den stadtbekannten Nazi Dmitrij Red’kin überfallen und verletzt haben. Die Ermittlungen gegen Artjom begannen aber erst sieben Monate später. Hinzu kommt, daß das vermeintliche Opfer keine Anzeige gestellt hat. Trotzdem wurde Artjom dem Haftrichter zur Verhängung der Untersuchungshaft vorgeführt, der ihn aber „lediglich“ unter Hausarrest stellte. Ähnlich verliefen die Ermittlungen gegen Pavel Krivonosov. Hierbei wurden erneut zwei vermeintliche Opfer gesucht, wobei der Übergriff der Antifaschist_innen diesmal noch weiter in der Vergangenheit lag. Diesmal sollen zwei Nazis im Sommer 2010 von Antifaschist_innen überfallen worden sein. Hinzu kommt der Vorwurf, daß der beschuldigte Al’bert Gajnutdinov zum maßgeblichen Gründer des „extremistischen“ Organisation „Antifa-RASH“ gemacht wurde.

In einem Interview, das auf russisch geführt und englisch untertitelt bei youtube angeschaut werden kann, erzählt Artjom Bystrov über seine Festnahme, die Vorwürfe der ihn verhörenden Beamt_innen und ihre Konstruktionen. So wurde er ohne Angabe der Vorwürfe von Beamt_innen des „E“-Zentrum aus Nizhni Novgorod festgenommen und zum Verhör gefahren. Dort wurde er unter Druck gesetzt und es wurde behauptet, er hätte Überfälle und anderen „Dummheiten“ begangen. In einem Lügen-Detektortest, den der Anwalt Dinze veranlaßt hat, sind diese Vorwürfe später als Erfindungen der Sicherheitsbeamt_innen entkräftet worden. Artjom und die anderen Beschuldigten waren niemals an Überfällen beteiligt und sind keine Mitglieder der ominösen Organisation „Antifa-Rash“.

Artjom saß dennoch zwei Tage in Untersuchungshaft, bevor er dem Haftrichter vorgeführt wurde. Die Durchsuchung seines Zimmers passierte in seiner Abwesenheit. Lediglich sein Vater war vor Ort. Artjom erzählt weiter, daß ihm später unbekanntes vermeintlich in seinem Zimmer gefundenes Material vorgelegt wurde. Darunter war ein „Mitgliedsausweis“ der Organisation „Antifa-Rash“ sowie weitere Papiere dieser Organisation. Diese waren schlecht geschrieben, hatten viele Rechtschreibfehler, außerdem gab es irgendwelche „Kinderzeichnungen“. Dieses Material sollte die Existenz der „mythischen“ Organisation „Antifa-Rash“ beweisen.

Auffällig ist, daß die Ermittlungen des seit 2008 existierenden „E“-Zentrum und die nun eingeleiteten Strafverfahren bekannte und prominente Antifaschist_innen aus Nizhni Novgorod zum Ziel haben. Vor allem Artjom war schon mehrfach als Antifaschist mit den Behörden in Konflikt geraten. Material über die politischen Aktivitäten, wie die Durchführung angemeldeter antifaschistischer Aktionen und die Beteiligung an Aktionen von Tierrechtler_innen, gab es schon 2008. Danach steigerte sich die Repression durch das „E“-Zentrum aber weiter. Seit 2011 sollen nun womöglich die regionalen antifaschistischen und anderen emanzipatorischen Strukturen völlig zerstört werden. Hierzu fälschen die Sicherheitskräfte offenbar, ganz in der Tradition der zaristischen politischen Polizei, Beweise und konstruieren auf Grundlage der eigenen Fälschungen Vorwürfe.

Bleibt zu hoffen, daß diese absurden Beschuldigungen schnell entlarvt werden. Hoffnung reicht aber nicht. Wie schon Stas Markelov bei seiner letzten Rede betonte, nur wir allein können uns helfen. Der Staat und das Gesetz sind keine Garantie für Freiheit!

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