19. Januar 2009

Am 19. Januar 2009 wurden der 34-Jährige Menschenrechtsanwalt Stanislav Markelov und die 25-Jährige Journalistin Anastasija Baburova am helllichten Tag, nur wenige hundert Meter vom Kreml entfernt erschossen. Der Mörder Nikita Tichonov tötete sie mit gezielten Schüssen in den Kopf. Er gehörte zu einer Terror-Zelle militanter Nazis. Seine Komplizin und Ehefrau war Evgenij Chasis. Beide wurden im Sommer diesen Jahres wegen des Mordes zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Der Mord

Stanislav Markelov lud am 19. Januar zu einer Pressekonferenz in das Unabhängige Presse-Zentrum ein. Er wollte über die bevorstehende, erschlichene vorzeitige Freilassung des wegen Vergewaltigung und Mordes an einem jungen chechenischen Mädchen verurteilten Oberst Jurij Budanov informieren und die Wiederaufnahme seiner Bemühungen um eine Fortsetzung der Haft ankündigen. Anastasija Baburova war als Journalistin im Auftrag der Zeitung „Novaja Gazeta“ vor Ort. Sie arbeitete an einem Artikel über die gefährliche Arbeit von Markelov und führte ein Interview mit ihm. Es erschien wenige Tage nach dem Tod der beiden gleichsam als Erinnerung an die Ermordeten. Kurz nach 14 Uhr verließen beide das Unabhängige Pressezentrum und liefen gemeinsam zur Metro. Nikita Tichonov folgte beide durch die Straße Prichistenka auf dem gegenüberliegenden Gehweg. Am Haus Nummer 1, nicht einmal 1 Kilometer trat er hinter Markelov und schoß ihm zweimal von hinten in den Kopf. Er starb noch vor Ort. Baburova wurde ebenfalls gezielt niedergeschossen überlebte aber zunächst. Trotz des schnellen Notrufs von Zeug_innen des Mordes starb sie am Abend an den schweren Kopfverletzungen. Der Rettungswagen kam erst 40 Minuten später.

Stanislav Markelov war 34 Jahre alt, als er getötet wurde. Er wurde in Moskau geboren und schloß sein Jurastdium an der Moskauer Universität ab. Der engagierte Rechtsanwalt unterstützte in den 90iger Jahren die weißrussische Opposition, gab aber seine Arbeit dort aufgrund der Gleichschaltung der Justiz auf. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte er immer wieder durch seine hartnäckige Vertretung von Opfern aus dem Chechenien. Er erreichte zahlreiche Verurteilungen der russischen Täter_innen, unter anderem auch des Oberst Jurij Budanov. Außerdem verteidigte er immer wieder engagierte Antifaschist_innen und andere emanzipatorische Aktivist_innen. Neben seinem Engagement für die Opfer im Südkaukasus vertrat Markelov Journalist_innen, die bei ihrer Arbeit mit den Interessen staatlicher Behörden oder regionaler informeller Kreise in Konflikt geraten waren. So betreute er Mikhail Beketov juristisch, der in seiner Zeitung „Khimskaja Pravda“ über die Ungereimtheiten beim Verkauf und der Rodung des Waldes bei Khimki informierte und dafür am 13. November 2008 beinah zu Tode geprügelt wurde.

Anastasija Baburova war 25 Jahre alt, als sie durch die Kugel eines Nazis starb. Sie wuchs in Sevastapol auf und beendete die Schule mit Auszeichnung. Sie studierte in Moskau und begann danach als Journalistin zu arbeiten. Sie veröffentlichte zunächst in der regionalen Tageszeitung „Vechernaja Moskva“, in der staatlichen Tageszeitung „Rossiskaja Gazeta“ und in der Tageszeitung „Izvestija“. Seit Oktober 2008 arbeitete sie für die engagierte Zeitung „Novaja Gazeta“, deren Journalist_innen, wie Anna Politovskaja, im Verlaufe der Jahre kriminalisiert, überfallen, zusammengeschlagen und getötet wurden. Sie schrieb zuletzt vor allem über die Aktionen emanzipatorischer Gruppen, russische Antifaschist_innen und die Gewalt russischer Nationalist_innen sowie Nazis. Des Weiteren engagierte sie sich in anarcholibertären, ökologischen Gruppen und war eine aktive Blogger_in.

Die Ermordung der beiden sorgte innerhalb von Russland für große Aufmerksamkeit, da mit Markelov ein seit Jahren engagierter und respektierter Menschenrechtler und Anwalt sowie mit Anastasija Baburova seine junge Begleiterin, eine nicht minder aktive Journalistin und bekannte Antifaschist_in getötet wurden. Die Menschenrechtsorganisationen fühlten sich an die Ermordung von Politovskaja erinnert, die ebenfalls auf offener Straße erschossen wurde. Anarchistische und antifaschistische Aktivist_innen wurde schmerzlich die Ermordung von Aleksandr Rjukhin, Timur Kacharev und Aleksej Krylov ins Gedächtnis gerufen. Grundsätzlich verwies die Ermordung der beiden darauf, dass emanzipatorisches Engagement in Russland tödlich ist. Ein Zettel mit der Aufschrift „Russlands Name – der Tod“ (Imja Rossii – smert’), einen Tag später bei einer Kundgebung am Ort des Verbrechens angebracht, fasste dies erschreckend zusammen.

Gedenken – Weltweite Trauer, Kundgebungen und Demonstrationen

Der Mord an Stanislav Markelov und Anaststasija Baburova war ein Schock für engagierte Menschenrechtler_innen und Journalist_innen, für emanzipatorische Aktivist_innen und Antifaschist_innen. Schon einen Tag später kamen Hunderte zum Tatort. Sie hinterließen Kerzen, Blumen, kleine Nachrichten und Fotos der beiden. Sie trauerten, erinnerten an den gewaltsamen Tod der beiden und sorgten dafür, daß der Mord im Stadtbild sichtbar blieb. Den Sicherheitsbehörden sollte keine Möglichkeit gegeben werden, das Verbrechen zu vertuschen.

Aber es blieb nicht nur bei der Trauer. Am Abend des 20. Januar gingen Anarchist_innen und Antifaschist_innen landesweit in Erinnerung an die Ermordung von Markelov und Baburova auf die Straße. In Moskau demonstrierten circa 300 Menschen unangemeldet, laut und kämpferisch. Zuvor versuchten Sicherheitskräfte der paramilitärischen Miliz OMON die Versammlung zu verhindern. Die Teilnehmer_innen wurden zusammengeschlagen. Es gab mehrere Festnahmen. Auch nach Ende der Demonstration gab es Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant_innen und Sicherheitsbeamt_innen. Aber trotz massiver Präsenz und Übergriffe durch die Miliz konnte die Demonstration nicht verhindert werden.

In St. Petersburg trafen sich mindestens 50 Anarchist_innen und Antifaschist_innen, um an Markelov und Baburova zu erinnern. Hier konnte nach langen Diskussionen mit den örtlichen Polizeikräften eine Demonstration ohne Repression und Auseinandersetzungen mit den Beamt_innen durchgeführt werden. Die größte Gedenkveranstaltung fand aber im chechenischen Grosny statt. Dort versammelten sich mindestens 1.000, laut anderen Angaben sogar über 3.000 Menschen und erinnerten insbesondere an Stanislav Markelov, der sich so oft und hartnäckig für Opfer staatlicher Gewalt im Südkaukasus eingesetzt hatte. Für diese Menschen war die Ermordung ein Schock. Die hohe Zahl der Teilnehmer_innen bewies, daß sich die Menschen in Chechnja sehr verbunden mit ihm fühlten, war er doch einer der wenigen, der unnachgiebig für ihre Interessen kämpfte.

Weitere Gedenkveranstaltungen fanden in den darauffolgenden Tagen landes- und auch weltweit statt. In Kiev erinnerten circa 50 Menschen an Markelov und Baburova. Selbst in Berlin versammelten sich mindestens 100 Menschen, um an die Ermordung der beiden zu erinnern. In Barnaul, im Altai-Gebirge, trafen sich ebenfalls Aktivist_innen. Weitere Veranstaltungen fanden in Perm, in Borobidzhan, der Hauptstadt der Jüdischen Autonomen Oblast im Osten von Russland, in Vladivostok, Khabarovsk, in Samara, Omsk, Ufa usw. statt. In Novosibrisk versammelten sich 15 bis 20 Menschen zu einer Kundgebung, um an den Tod von Markelov und Baburova zu erinnern. Die Teilnehmer_innen dort wurden von Nazis überfallen und einige verletzt. In Nizhnij Novgorod zogen am 23. Januar Anarchist_innen und Antifaschist_innen laut und kämpferisch durch die Stadt. Außerhalb von Russland gab es Gedenkveranstaltungen in Rom, Paris, Prag. In Deutschland wurde in Berlin und Düsseldorf an Markelov und Baburova erinnert.

Der 19. Januar – Tag der Erinnerung an die Opfer nationalistischer Gewalt

Schon ein Jahr später formierte sich in Moskau das Komitee 19. Januar als breites Bündnis engagierter Menschenrechtler_innen, emanzipatorischer Aktivist_innen, Anarchist_innen und Antifaschist_innen, um am Todestag von Markelov und Baburova gegen Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Nazi-Terror zu demonstrieren. Das Bündnis will explizit an alle Opfer von nationalistischer Gewalt erinnern – jenseits vermeintlich politischer, ethnischer oder sozialer Zuschreibungen. Nazi-Gewalt betrifft alle! Deshalb müssen sich die Menschen gemeinsam dagegen wehren.

Aus diesem Grund ruft das Komitee 19. Januar jährlich am 19. Januar in Erinnerung an Markelov und Baburova zu einer großen antifaschistischen Demonstration in Moskau auf, die landesweit durch Kundgebungen und andere Gedenkveranstaltungen begleitet wird. Im nächsten Jahr wollen wir, die Gruppe 19. Januar Berlin zusammen mit dem Referat Neonazismus und Strukturen / Ideologien der Ungleichwertigkeit sowie der Abteilung Osteuropa der Rosa Luxemburg Stiftung, ebenfalls an die Ermordung von Markelov und Baburova erinnern und über Nationalismus in Russland informieren.